In diesem Jahr habe ich endlich mal wieder so richtig mit dem Rennradfahren weitergemacht, nachdem dieses Hobby zwischenzeitlich aus verschiedenen Gründen eher nur sporadisch bis kaum mehr ausgeübt wurde und das Rad in der Garage rumstand.
Da mich mein Urlaub an den Genfer See führen sollte, kam mir plötzlich die Idee, da könnte man doch einmal drum rum fahren. Nach etwas Recherche wurden dann zwei Fakten schnell klar: 1. Ja, da kann man sehr gut rumfahren, es gibt sogar ausgeschilderte Velorouten, 2. Das sind aber um die 180 km.
Au weia, 180 km, ist das zu schaffen? Meine längste Tour war bis dahin in diesem Jahr „nur“ 100 km. Gut, früher bin ich auch mal um die 140 km gefahren, aber das ist lange her. Ich holte mir also Rat in einem Radsportforum bei den „alten Hasen“ und nachdem es dann hieß „Probieren, wer 100 km fährt schafft auch 180 …“ und dazu noch allerlei gute Ratschläge zur tatsächlichen Durchführung kamen, dachte ich, o.k. dann soll das vielleicht was werden. Am Wochenende vor der Anreise, bin ich dann daheim noch mal 130 km gefahren und das ging eigentlich problemlos, also warum nicht?!
Die Gegend um Montreux ist mir seit langer Zeit durch mehrere Reisen schon vertraut und ich mag diese Landschaft sehr, mit dem schon fast mediterran angehauchten See und den Bergen drum rum. Sowohl in die Berner Alpen als auch zum Mont Blanc ist es nicht sehr weit.
Meine Unterkunft ist ein Ferienappartement (1-Zimmer-Wohnung) im 8. Stock eines größeren Wohngebäudes in Clarens (Stadtteil von Montreux). Mit der Wohnung habe ich es hervorragend getroffen, sie hat einen großen Balkon mit grandiosem Seeblick und eine kleine Küche, schnelles Internet und einen Stellplatz in der Tiefgarage in Form einer abgeschlossenen Garagenbox, worin mein Auto und mein Rad bestens untergebracht sind.
Angekommen bin ich am Montag, 31.07.2017 und der Wetterbericht verspricht für die ganze Woche: Trocken und heiß. Da am 1.8. der Schweizer Bundesfeiertag begangen wird, gibt es rund um den See in der ganzen Nacht ständig Feuerwerk. Zunächst zünden alle möglichen Leute selbst Raketen (wie bei uns zu Silvester) und dann ab 22 Uhr, geht in den einzelnen Ortschaften, die sich ja wie an einer Perlenkette sich am Seeufer entlang reihen, ein großes inszeniertes Feuerwerk nach dem andern los. Es ist erstaunlich, was da in die Luft gejagt wird.
Am Feiertag selbst hab ich einen Ausflug mit kleiner Bergwanderung hoch zum „Dent de Jaman“ und „Rochers de Naye“ gemacht. Von da oben hat man einen gigantischen Blick auf den See:
Am Mittwoch sollte nun also mein Vorhaben starten. Damit ich früh ausgeruht starten kann, so meine Vorstellung, gehe ich früh schlafen. Soweit die Theorie. Um 22 Uhr geht auf einmal schon wieder die Böllerei draussen los. Also nicht nur am Vorabend, sondern auch zum Abschluss des Feiertags gibts nochmal Feuerwerk.
Nach kurzer unruhiger Nacht ein Blick aufs Smartphone: 5.30 Uhr. Also gut, auf geht’s! Frühstücken, noch etwas technischer Dienst am Fahrrad und dann spätestens gegen 7 Uhr rein in die Pedale!
Los geht’s also in Clarens. Nachdem ich mein Fahrrad aus der Tiefgarage rausgeholt habe, die Tür sich hinter mir schliesst, fällt mein Blick auf einen Gullydeckel und ich denke mir, na bravo, bei dem Vorzeichen muss es ja klappen! 😀
Ich rolle ein paar Meter die Seitenstraße von meiner Wohnung aus runter und biege nach links in die Hauptstraße Richtung Montreux. Der Übergang von Clarens nach Montreux bis nach Territet und dem Château de Chillon ist fliessend, es ist sozusagen ein Ort. Der Verkehr ist um diese Zeit noch sehr ruhig. Vorbei geht es an den mondänen Hotels. Mich überholt ein Handwerkerkastenwagen, den ich dann aber an der übernächsten Ampel schon wieder eingeholt habe. Ich lasse es sehr ruhig angehen, stehen mir doch mind. 180 km. bevor. Vorbei geht es am Château de Chillon, hier zwängt sich die Straße zwischen Felsen und See und man merkt sofort, dass dies seit jeher ein historisch strategisch wichtiger Ort war.
Nun folgt knapp ein km mit etwas freierer Landschaft bis sozusagen das eine Ende des Sees und die Ortschaft Villeneuve erreicht ist. Wer die herzzerreißende Geschichte „Episode am Genfer See“ von Stefan Zweig kennt, die ist hier in Villeneuve angesiedelt.
In Villeneuve muss man nicht der Hauptstraße folgen, dies wäre etwas ein Umweg vom See weg, man sieht hier, kurz vor einer Tankstelle das Schild der „Veloroute 46“ und biegt nach rechts ab. Nun führt eine schmale Straße durch eine Art Auenlandschaft. Hier kommt die Rhone aus dem Rhonetal und muss in den See hinein (bei Genf fliesst sie dann wieder aus dem See heraus und weiter zum Mittelmeer). Es geht durch Felder und auch ein Stück durch den Wald. Sehr hübsch um diese morgendliche Stunde. Es geht zweimal über eine Brücke. Die eine ist sehr schmal, es empfiehlt sich ggf. abzusteigen, da es mehr eine Art Fußgängerbrücke ist. Man überquert zuerst einen kleinen Kanal und dann die Rhone.
Nachdem man die Rhone überquert hat, befindet man sich nicht mehr im Waadtland sondern im Kanton Wallis. Nun geht es Richtung St. Gingolph und man findet irgendwann wieder auf die Hauptstraße, die am See entlangführt. St. Gingolph hat einen Schweizer und einen französischen Teil, hier verläuft also die Landesgrenze. Um die 20 km meiner Tour sind bis dahin absolviert. Die Grenze hat einen Schlagbaum und Grenzposten. Das Auto vor mir verlangsamt, hält am Posten kurz an und wird dann durchgewunken. Ich bin gespannt, ob ich meinen Ausweis zeigen muss. Als der Grenzposten sieht, dass ich mit einem Fuß aus den Klickpedal gehe, winkt er mich aber sofort durch und grüßt mit einem freundlichen Bonjour.
Nun befinde ich mich also in Frankreich. Weiter geht es entlang der Uferstraße. Und gleich so, als ob alle Klischees erfüllt werden müssten, überholt mich zuerst ein 2CV und in der nächsten malerischen Ortschaft läuft ein Mann mit einem Baguette, dass er sich eben aus der Boulangerie geholt hat. 🙂
Es sind wirklich sehr schöne kleine Ortschaften, die nun von Zeit zu Zeit entlang der Uferstraße meinen Weg säumen. Immer rechts von mir der See und eine Zeit lang, kann ich mich mit einem Motorboot, dass parallel von mir im See dahinfährt messen. Das Boot fährt etwas über 30 km/h. Irgendwann lasse ich dann abreissen. Später kommt links neben der Straße eine Art Burg und ein Torbogen überspannt die Uferstraße.
Noch vor Evian kommen mir zwei Rennradler entgegen und es wird auffallend freundlich gegrüßt und gewunken. Sehr schön!
Jetzt kommt das berühmte Städtchen Evian. Zeit mir eine neue Flasche Wasser, natürlich der Marke „Evian“ zu holen. An der Uferpromenade gibt es Dutzende von Kiosken, aber kein einziger scheint um diese Zeit schon offen zu haben, so mache ich Halt an einer Tankstelle am Ende des Ortes. Die freundliche Verkäuferin ist etwas verdutzt, als ich ihr einen 10-Franken-Schein (Schweizer Franken) hinhalte. Ob ich denn keine Euros hätte? Nein, da hab ich nicht dran gedacht, aber ich hab zum Glück meine Mastercard dabei und alles löst sich in freundlichem Wohlgefallen auf. Wird eben die Flasche Wasser mit der Kreditkarte abgerechnet.
Nach Evian wird die Streckenführung irgendwie für mich unübersichtlich. Ich hatte darauf verzichtet, mir eine vorgegebene Route in den Tacho einzuspeichern. Die Hauptstraße wird mehr oder weniger zur Schnellstraße und führt vom See weg, die Fahrradroute (ab und zu taucht auch in Frankreich noch ein Schild auf), wird durch eine Baustelle jäh unterbrochen und alle Versuche drum rum zu fahren enden im Industriegebiet und im Nirwana irgendwelcher Industrieanlagen. Nach einiger Zeit komme ich endlich irgendwie wieder auf die richtige Spur. Und in Anthy-sur-Léman entschädigt mich eine wunderbar beschauliche Fischerszene am See für den Ärger der vorhergehenden Irrfahrt:
Einfach wunderbar, dieser kleine Mann, sein Hund und der See! Der Sommer kann so schön sein!
Nun geht es auf die Landzunge, die sich in den See hineinstreckt und auf der sich das Dorf Yvoire befindet. Es handelt sich hierbei um ein Dorf mit historischen Gebäuden. Die Anfahrt zieht sich etwas, aber da es sich lt. div. Reiseführer um ein sehenswertes Highlight handelt, beflügelt es auch die Radlerbeine. Nach 75 km erreiche ich das Dorf und dort soll dann auch die erste längere Pause sein. Autos müssen auf einen Großparkplatz draussen bleiben, Radfahrer dürfen rein. Es ist wirklich ganz zauberhaft, hat aber jedoch auch den Charakter eines Museumsdorfes.
Jetzt hab ich mir auch etwas zu essen verdient! Ein heißes Panini mit Schinken und Käse, Nachtisch.
Dann ging es weiter Richtung Genf. Nur noch 25 km zeigte der Wegweiser, das spornte wiederum an und im Nachhinein war dieser Abschnitt auch der schnellste und leichteste der Tour. Gefühlt rollte (gut, es waren tatsächlich auch immer wieder Abschnitte dabei, wo man gut reintreten musste) man nach Genf rein. Diesmal war von einer Grenze nichts mehr zu sehen. Als ich noch rätselte ob ich jetzt noch in Frankreich oder schon wieder in der Schweiz bin, befand ich mich plötzlich schon in einem Vorort von Genf.
Und dann war es soweit! Ich sauste auf breiter Straße einen Berg hinunter und in der Ferne war tatsächlich schon die bekannte Fontäne, eines der Wahrzeichen von Genf zu sehen! Meine mentale Taktik bestand bis dahin auch immer darin, mir zu sagen, ich hätte ja mit der Tour erst begonnen. Dann wurde mir plötzlich bewusst, wow, hab ja schon mehr als die Hälfte. Meines Erachtens war die Ankunft in Genf dann auch irgendwie der Höhepunkt meiner Tour. Hier waren exakt 100 km erreicht.
Die Fahrt durch Genf in Richtung Lausanne erwies sich als völlig unproblematisch und wirklich ganz leicht zu finden. Die Verkehrsführung ist sehr einfach. Und ganz schnell ist man schon wieder außerhalb, befindet sich neben Weinreben und darf nochmal einen Blick zurück werfen.
Dann der Abschnitt, dem ich mich schon vorher etwas angespannt entgegen sah. Die nachmittägliche Sonne brannte runter (meine Tachoauswertung sagte mir, es waren bis zu 35°C), man hat mehr als 100 km hinter sich und noch eine lange Strecke vor sich. Aber es ging vorwärts und Nyon war erreicht.
Die Strecke war teilw. nicht so attraktiv mit viel Verkehr. Aber die Ortschaften (z. B. Rolle und Morges) hatten immer wieder hübsche Fotomotive.
Zeit etwas durchzuschnaufen, zu trinken bzw. Getränkenachschub zu organisieren und für Radfahrer gut zu wissen: An den Parkplätzen vor den abgebildeten Burgen gibt es meistens auch öffentliche Toiletten.
Dann wurden allmählich die Vororte von Lausanne erreicht. Moderne teilw. futuristisch anmutende Zweckbauten, breite für den Autoverkehr optimierte Straßen. Nach dem Durchfahren dieser eher unattraktiven Vorstadt dann Ankunft am See. Zeit für ein Eis! Und welche Freude, als mein Blick auf ein Schild fiel, mit der Aufschrift, dass es nach Vevey nur noch 20 und nach Montreux 29 km sind! Na also!
Richtung Vevey fährt man etwas erhöht, rechts unterhalb der See und links oberhalb das berühmte Weinanbaugebiet dieser Gegend. Man lässt immer wieder den Blick zum jenseitigen Ufer schweifen, dort also ist man heute früh auch schon entlang gefahren und voraus taucht immer deutlicher die Bucht von Montreux mit dem Abschluss des See und den dahinter aufragenden Bergen auf. Jetzt ist es beinahe geschafft!
Durch Vevey, dass doch bei der Durchfahrt erstaunlich groß erscheint, bei Feierabendverkehr und etlichen Ampeln, zieht es sich noch etwas. Dann noch ein paar km und das Ortsschild von Clarens ist erreicht. Ich sehe den kleinen Hafen und ein paar Meter weiter biege ich wieder links zu „meinem“ Haus (mit dem Ferienappartement) ein.
Noch auf dem Rad ziehe ich ein erstes kleines Fazit:
Die Beine haben wunderbar durchgehalten, da wären auch 200 km gegangen! Gut der Nacken spannt, aber das Sitzen wiederum hat tatsächlich überhaupt keine Probleme bereitet! Der Kopf ist etwas matschig wegen der heißen Sonne. Aber nach einer Dusche klingt der Abend wunderbar friedlich am See und dem kleinen Hafen von Clarens aus!
Genaue Route: