Col des Mosses – Château-d’Œx – Lac de l‘ Hongrin – Les Agites

Zu meinem Urlaub am Genfer See, hatte ich mir vorab zwei Touren überlegt, zum einen die Umfahrung des Sees, zum anderen, eine Tour in die Berge. Ob ich überhaupt eine davon komplett schaffe, war mir ja vorher noch nicht so recht klar, aber man hat ja, dank des hervorragenden Bahnverkehrsnetzes und/oder der Schiffsverbindungen auf dem Genfer See auch immer noch sozusagen Netz und doppelten Boden.

Die „Flachetappe“ mit 185 km rund um den Genfer See hatte ich ja für meine Verhältnisse ganz gut gemeistert. Tags darauf war relaxen angesagt, d.h. ein längerer Spaziergang am See entlang, ein Stück mit dem Schiff über den See und da es wieder mit weit über 30°C sehr heiß war, bis in den Abend hinein noch Baden und Schwimmen im See.

Am nächsten Tag dachte ich nach dem Frühstück, ein bisschen Radfahren wäre heute nicht schlecht! Ich fahr mal bis Aigle, dann vielleicht den Berg hoch und dann mal sehen … Also Col des Mosses kannte ich von div. Autofahrten und wie gesagt, sollte mir nach der Abfahrt dann in Chateau d’Oex die Puste ausgehen oder die Beine streiken, könnte ich ja immer noch samt Rad in den Zug steigen.

Was mich im Vorfeld der Planung schon sehr gefesselt hat als ich davon gelesen hatte, war das Hongrin Tal und der Pass „Les Agites“. Das Hongrin Tal erschien mir, je mehr ich – vor allem aus Rennradfahrerperspektive – darüber rausfinden wollte, zunehmend geheimnisvoller. Aber eine wertvolle Info konnte ich ermitteln, nämlich, dass es einen durchgehend befestigten Weg gibt, der zwar unterschiedliche Qualität aufweist, aber doch auch mit Rennradreifen befahren werden kann. Das geheimnisvoll-spektakuläre ging ja noch weiter, denn nach dem Hongrin Tal ist dann die Verbindung „Les Agites“ vom Lac de l’Hongrin wieder runter in’s Rhonetal militärisches Sperrgebiet, es wird hier scharf geschossen und die Straße ist nur zeitweise geöffnet.

Auf der Internetseite http://hongrin.ch habe ich dann noch ermittelt, dass just an dem Freitag, an dem ich ggf. fahren wollte, die Durchfahrt ab 16.30 Uhr geöffnet sei.

Also bin ich dann mal losgeradelt. Gestartet bin ich eher spät, gegen 10 Uhr Vormittags. Der Wind, der anscheinend gerne vom See her, durch’s Rhonetal Richtung Wallis bläst, hat mich dann auch sozusagen bis Aigle „fliegen“ lassen. Es war ein Genuss mit bis zu 40 km/h. dahinzuradeln. Clarens-Montreux-Chillon-Villeneuve-Roche-Yvorne-Aigle.

Yvorne baut einen hervorragenden Wein an, den ich mir dann am Abend gerne hab schmecken lassen.

Yvorne

In Aigle hab ich noch mal Getränke gekauft, für die anstehende Passfahrt erschien mir Rivella geeignet und bin dann den Col des Mosses hochgekurbelt. Ich wollte tatsächlich mal die Erfahrung einer relativ stark befahrenen Passstraße machen. Der Verkehr ist sehr hoch, es fahren da ununterbrochen Autos, Laster, Busse und Motorräder an einem vorbei. Aber ich hab mich dabei nie unsicher gefühlt. Wenn es mal zu schmal ist und Gegenverkehr kommt, fahren die Autos halt ein Stück hinter einem her. Weiter oben wird der Verkehr gefühlt wesentlich geringer. Es verteilt sich anscheinend mehr.

Aigle - Les Mosses

Beim Hochfahren kam mir, glaube ich, zu Gute, dass ich Berge (zwar eher im Kleinformat) schon seit jeher aus meiner fränkischen Mittelgebirgslandschaft her kenne und auch mit dem Rad gefahren bin. Da geht es zwar meistens nur 2, 3 oder 4 km. hoch, aber es fühlt sich halt trotzdem auch nicht ganz anders an. Hier kurbelte ich dann bis zur Passhöhe insgesamt um die 18 km hoch. Allerdings wird weiter oben die Steigung auch zwischendurch mal moderater.

Hier die Abzweigung an der man sich entscheiden muss, ob man nun Les Mosses oder Col du Pillon (da geht’s Richtung Les Diablerets und weiter nach Gstaad, Zweisimmen usw.) fahren will.

Abzweigung Les Mosses - Col du Pillon

Angekommen! Les Mosses, Ortsschild.

Les Mosses Ortsschild

Unten in Aigle hatte ich 20 km hinter mir, oben in Les Mosses waren es dann insgesamt 38 km.

Tachostand Les Mosses

Vor vielen Jahren hatte ich mit dem Auto mal kurz in Les Mosses Halt gemacht. Damals, im März oder April, als unten am Genfer See schon schönstes Frühjahr war, schaute die Passhöhe nicht sehr einladend aus. Schneereste und graue Wolken sowie der Eindruck eines verlassenen Skiortes nach der Saison waren mir im Gedächtnis geblieben. Jetzt im August, schaute alles sehr nett aus. Strahlender Sonnenschein, Kühe, grüne Wiesen, hohe Berge und rustikale Holzhäuser. Dass es trotzdem vorrangig auf die Skisaison eingerichtet ist, sieht man dann weiter hinten, an den riesigen Parkplätzen.

Wie mache ich jetzt weiter, hab ich dann nach einer kurzen Verschnaufpause überlegt! Jetzt bin ich zwar einen ordentlichen Pass gefahren, aber es ist erst Mittag und es sind ja auch erst 38 km. Also gut, mit Schwung in die Abfahrt nach Château-d’Œx gegangen. Den Genuss will ich auf jeden Fall mitnehmen. Die Abfahrt macht auch richtig Spass, man kann es gut laufen lassen, ich hatte etwas Gegenwind, die Geschwindigkeit wurde daher eh nicht zu schnell. Aber nichts desto trotz muss man natürlich bei Abfahrten immer konzentriert sein. Je länger die Abfahrt andauerte, desto mehr wurde mir dann für mich auch klar, diese Straße werde ich NICHT wieder hochfahren, das erschien mir viel zu lang und strapaziös. Also unten entscheiden, wie es mir geht und dann ggf. doch die Hongrin Variante in Angriff nehmen.

In Château-d’Œx, ein sehr schönes Alpendorf (auch bekannt für ein jährliches Ballonfahrerfestival) hab ich dann erst mal eine Pause gemacht, das Rad durch die Fußgängerzone geschoben und in einer total netten Boulangerie (mit richtigem Tante Emma Laden) mir ein Pain au Chocolat und Getränkenachschub geholt.

Château-d'Œx

Um zum Ausgangspunkt der Hongrin-Route zu kommen musste ich noch weiter bis Montbovon fahren. Ein Blick aufs Smartphone und Google Maps sagte mir, das wären noch fast 12 km. Na ja, nicht sehr motivierend, da mir mittlerweile ein recht starker Gegenwind entgegenpustete. Aber dann sollte etwas ganz Wunderbares geschehen! Ich fuhr also ein paar km recht lustlos die Straße Richtung Montbovon, wo es zwar noch weiter abwärts geht, aber wie gesagt der starke fönartige Gegenwind macht zu schaffen, als im Dörfchen Rossinière mich ein anderer Rennradler überholte. Ha, da muss ich versuchen dran zu bleiben! Der andere schaute tatsächlich auch immer wieder, ob ich dranbleibe und sein Tempo war o.k. So bildeten wir ein Zweierteam, was den Gegenwind doch gleich sehr erträglich machte. Ich konnte sogar ab und zu auch mal die Führung übernehmen und dem Kollegen Windschatten bieten, so jagten wir dann wirklich mit schnellem Tempo (lt. Aufzeichnung zw. 30 u. bis zu 47 km/h), dass unglaublich Spass machte, talwärts Richtung Montboven. Dort angekommen verabschiedete ich mich, mit rudimentären Französich und deutete nach links und rief, a Lac de’l Hongrin, was der Kollege mit einem „Daumen hoch“ und „au revoir“ quittierte.

Am Bahnhof von Montbovon (das Dörfchen wirkt ansonsten wirklich recht verschlafen, ich war da mal vor Jahren eher versehentlich am Bahnhof ausgestiegen, man kann direkt von Montreux über Les Avants mit dem Zug dahinfahren) gibt es immerhin einen gut funktionierenden Getränkeautomaten. Also nochmal ein Wasser geholt. Diesmal ein „Walser“ mit Kohlensäure. Wirklich sehr gut. Meines Erachtens besser als das Evian.

Der Einstieg in die Route durch das Hongrin-Tal ist leicht zu finden. Vom Bahnhof wieder ein paar Meter zurück, wo ich gerade hergekommen bin und dann rechts hoch. Ein Wegweiser zeigt den Weg dort hoch in Richtung Les Allières. Der erste Abschnitt bis zum Dorf Les Allières ist wunderbar. Ein schmales Sträßchen, nagelneue Teerdecke. Alles sehr idyllisch, es geht durch den Wald, rechts unter einem rauscht der Hongrin ins Tal. Es ist auch alles von der Steigung her noch recht moderat.

Von Montbovon in das Hongrin Tal

Angkommen in Les Allières

Les Allières

Die Strecke wird auch von diesen Radroutenschildern gekennzeichnet.

Radroutenschild

Nach Les Allières wechselt der Straßenbelag schnell auf „na ja, geht so“. Für den langsamen Aufstieg ist es vollkommen o.k., der Belag ist halt manchmal recht grob, ganz kurze Abschnitte auch mal ohne Teer bzw. Beton, aber gut fahrbar. Man braucht keine Angst um sein Rad zu haben. Runterfahren möchte ich nicht unbedingt, das macht dann denke ich keinen Spass, weil es doch etwas holprig wird.

Hongrin Tal weiter aufwärts

Es ist wirklich sehr idyllisch da hoch zu fahren und ich habe mit jedem Meter gedacht, was für ein Glück, dass ich das heute doch noch angegangen bin. Herrliche Ruhe, war praktisch allein unterwegs, nur mal ein paar Mountainbiker die von oben entgegenkamen und ganz vereinzelt Wanderer.

Hongrin Tal

Die Grillen haben laut gezirpt, immer wieder haben mich Schmetterlinge begleitet und dass Kühe sich in dem Tal wohlfühlen hört man an den Glocken, deren Klang einem ständig von nah oder fern begleitet und merkt man am ab und zu zu absolvierenden Kuhfladenslalom.

Kuhfladenslalom

Lt. Tacho hab ich gedacht, na ja, bevor ich die 80 km voll habe, brauche ich nicht damit zu rechnen am Hongrin See anzukommen, dann, schon etwas vorher, lugte plötzlich rechts durch die Bäume in der Ferne schon ein Teil der Staumauer und ein kurzer Tunnel war zu durchfahren. Vorher ständig in der gleisenden Sonne, sah ich im Tunnel kaum etwas und ich hoffte nur, dass keine Schlaglöcher im Boden sind. Ging aber alles sehr gut!

Kurzer Tunnel vor Lac de'l Hongrin

Dann, nach dem kurzen Tunnel, steht man direkt vor der riesigen Staumauer.

Staumauer Hongrin

Man kann auf einem Weg über die ganze Staumauer fahren, was ich auch gemacht habe. Man muss dann halt den gleichen Weg wieder zurückfahren.

Weg über die Staumauer

Dann muss man im Uhrzeigersinn mind. zu drei viertel um den langgezogenen See herumfahren, da der „Les Agites“ Pass auf der gegenüberliegenden Seite entlang führt und man nur auf diesem Weg diese Straße erreicht.

Hongrin See

Diese Umrundung fand ich dann tatsächlich etwas nervig. In meiner grenzenlosen Naivität hatte ich mir ja vorgestellt, wenn der See erreicht ist, geht es sozusagen im Sturzflug nach unten ins Rhonetal. Zunächst geht es nochmal um zum einen Ende des Sees zu kommen immer wieder kräftig nach oben.

Bei der Kuh machte ich mal eine kleine Verschnaufpause.

Kuh

Und dann auch, wenn die richtige Straße des Agites-Pass erreicht ist, muss man schon noch lange treten (hier hatte ich auch wieder Gegenwind). Es zieht sich!

Am Höhenprofil sieht man schön, wie das noch lange vom Hongrin-See aus, nach oben geht.

Höhenprofil

Blick nochmal auf den See mit der Staumauer von der anderen Seite.

Blick über den See

Die Straße an sich, ist aber genial. Am Anfang eine richtig breite hervorragende Pass-Straße, die ich fast, bis auf drei Motorräder und zwei Autos, völlig für mich alleine hatte. Ab 16.30 Uhr vom Militär für den öffentlichen Verkehr freigegeben und genau um die Zeit war ich da. Die Brücken sind hier alle durchnummeriert. Hier sang ich noch „über sieben Brücken musst du gehn“, am Ende waren es dann 47 oder so.

Brücken Les Agites

Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, zwischendurch waren auch mal (offene) Schranken und (leere) Häuschen für Wachposten zu passieren, endlich das Hinweisschild auf den Tunnel des Agittes, der nach 3,5 km. kommen sollte:

Hinweisschild Tunnel Les Agites

Nochmal Gelegenheit zum Wasser auffüllen.

Gebirgswasser

Dann nochmal ein absoluter Höhepunkt der Tour. Nach einem kurzen Anstieg und hinter einer Kurve eröffnet sich plötzlich ein grandioser Blick auf den Genfer See.

Blick auf See

Als ich dort so stehe und den Blick geniesse, höre ich, wie hinter mir ein kräftiger Motor durch das Hochtal röhrt. Na, da will ich mal sehen, wer da so rallymässig auf der Strecke unterwegs ist, die ich gerade so einsam entlang geradelt bin, und nicht allzulange dauert es, bis ein Porsche um die Kurve kommt. Der Porsche, ein wunderschöner Oldtimer, bleibt dann auch vorne, natürlich auch gebannt von dem Ausblick stehen und ein Paar steigt aus. Wir kommen gleich in’s Gespräch, nachdem ich mein schlechtes Französisch entschuldigt habe, bieten die beiden Englisch an, und als ich sage Deutsch, sagen sie, ja das geht natürlich auch. Finde ich gut! Sie erkundigen sich interessiert nach meiner Tour und der Strecke und ich bewundere nochmal das Auto.

Porsche

Dann fahre ich weiter durch den berühmt berüchtigten Tunnel
Tunnel Les Agites

Tunnel de la Sarse

Schild Tunnel de la Sarse

Der Tunnel (mit zeitlicher Einbahnregelung) ist gut zu fahren, da seitlich immer wieder Lichtöffnungen für gute Sicht sorgen.

Ein Stück nach dem Tunnel hat man dann nochmal einen wunderbaren Blick aus anderer Perspektive ins Tal und sieht die Rhone in den See fliessen.

Blick Richtung Villeneuve

Die Abfahrt die jetzt folgt ist bremstechnisch sehr anstrengend. Extrem steil, -11, -12, -14 zeigt der Tacho beim Gefälle an, sehr enge Kehren, man ist wirklich ständig am Bremsen. Ich bin dann auch ein paarmal zwischendurch stehen geblieben, um die Bremsen sozusagen wieder etwas abkühlen zu lassen, das wäre mir sonst nicht recht geheuer gewesen. Anstrengend aber natürlich auch insgesamt sehr eindrucksvoll!

Und irgendwann kommt dann auch das Tal immer näher und man kommt direkt in Yvorne (nach ca. 15 km Abfahrt), zwischen den mit Mauern umfriedeten Weingärten, bzw. Weinbergen an.

Yvorne inmitten der Weinreben

Jetzt noch die paar Km. zurück nach Montreux-Clarens, diesmal allerdings mit Gegenwind, aber doch beflügelt im Endspurt dieser wunderbaren Tour (und im Wissen, dass der Supermarkt nur bis 19 Uhr offen hat) konnte ich tatsächlich nochmal richtig kräftig reintreten und war kurz nach 18 Uhr wieder daheim in der Ferienwohnung.

Hinter mir lagen 132,77 km, eine Nettofahrzeit von 7:06 Stunden, eine Gesamtzeit von 8:41 Stunden und 2.230 Höhenmeter.